Warum trat im Jahr 1685 Maria Sibylla Merian das Eheleben verlassend in die religiöse Gemeinschaft der Labadisten ein ? Das bleibt immer noch eines der größten Rätsel in ihrem Leben. In der Merian-Literatur wird, nach Dieter Kühn, „wiederholt suggeriert oder souffliert, Maria Sibylla sei mit Mutter und Töchtern nach Friesland gezogen, um auf diesem Umweg ihren Mann loszuwerden“. Man hat ihre diese kühne Handlung manchmal auch der Uneinigkeit der Bekenntnisse des Ehepaars zugeschrieben: soll sie sich doch zur reformierten Kirche bekehrt haben. Sie scheint aber bei der Abreise von Frankfurt offensichtlich die Möglichkeit zur Heimkehr bahalten zu haben, denn sie hat damals ihre Bürgerrecht erneuert. Wozu musste sie denn nach Friesland zu den Labadisten fahren ?
Labadie selbst wie auch die Labadisten wurden wegen der Art ihrer missionarischen Tätigkeit sowie ihrer Lehre als solcher oft verfolgt. Die Verschlossenheit ihres „Hauses“ erweckte Verdacht auf irgendeine mögliche Konspiration, ihre Lehre vom Vorbehalt der Sakramente ließ sie mit den Wiedertäufern identifizieren und ihre Vorstellung von der Heiligen Schrift und der Ehe ließ sie ketzerisch ausehen. Merian, die offenbar durch Unterweisungen ihres Halbbruders Caspar, der schon vor ihr bei den Labadisten im Schloss Waltha in Wieuwerd wohnte, sowie durch ihre eigene Lektüre über die Lehren der Labadisten ziemlich wohl unterrichtet war, muss ― angesichts der Schwierigkeiten des Lebens, wie der Trennung von Tisch und Bett, des Unterhalts ihrer wieder verwitweten Mutter und zwei Töchter, der schlechten Aussicht ihres Berufs zur Malerin bzw. Handwerkerin u. a. ― in der Labadisten Lehre von der „Selbstverleugnung“ eine gewisse Möglichkeit zum Überleben gefunden haben, denn diese Lehre hatte auch zum Inhalt, dass Gläubige ihre Güter in der Welt aufgeben und sie als Gemeineigentum der Labadistengemeinde stiften sollten. Und es gelang ihr denn auch, unter dem gottesfürchtig bekleideten System des Gemeingutes mehrere Jahre bei den Labadisten ohne große Hindernisse zu überleben.