Der junge Baron Ferdinand von Walter liebt Luise Miller, ein bürgerliches Mädchen, leidenschaftlich und bittet um ihre Hand, ohne ihre Unschuld zu beflecken, was in der damaligen Literatur eine Ausnahme ist. In diesem Drama handelt es sich nicht nur um unstandesgemäße Liebe, sondern um eine Mesalliance, die ihn aus der höfischen Welt ausschließen wird, was seinen Erwartungen völlig entspricht. Er sagt zu ihr: „Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer, als die Liebe, kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?“, und dem Vater gegenüber: „Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.“ Mit der Heirat kann er den verdorbenen adligen Kreis verlassen und sich von der blutbefleckten Erbschaft befreien, was aber für seinen Vater bedeutet, dass er Gefahr läuft, seinen Erben und die Macht zu verlieren. Um seinen Einfluss am Hof zu sichern, will der Präsident seinen Sohn mit Lady Milford, der Favoritin des Fürsten, verheiraten. Es kommt darauf an, den Bund der Liebenden zu zerreißen. Der Präsident nimmt den Schlaukopf Wurm, den Sekretär, zur Hilfe. Der rät, zuerst müsse man Luises Eltern verhaften und einsperren lassen, dann solle das Mädchen zur Befreiung der Eltern einen fingierten Liebesbrief an eine dritte Person schreiben und „das Sakrament darauf nehmen, diesen Brief für einen freiwilligen zu erkennen“; den Brief spiele man dann „mit guter Art dem Major in die Hände.“
Ferdinand geht in die plumpe Falle, aber warum und wie? Wurm sagt: „Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich wie in der Liebe.“ Man spricht von dem Absolutismus der Liebe, der aristokratischen Hybris, dem hochfahrend-religiösen Liebespathos usw., die ihn verblendeten. Aber auch der genau ausgearbeitete Text, wie er im Folgenden beschrieben wird, darf nicht übersehen werden.
(1) Der Präsident erklärt der Familie Miller, die seine Pläne zerschlagen könnte: „Ich will meinen Haß an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern.“ Jetzt muss das Liebespaar wählen, das eigene Liebesglück oder Ruhe und Frieden der Millers. Luise fällt die Wahl auch wohl schwer, aber nicht so schwer wie ihrem Liebhaber, der die schändliche Ehe zu dritt mit der Favoritin und dem Fürsten eingehen müsste, indem er auf Luises Liebe verzichtete, um ihre Familie vor der Rache seines Vaters zu schützen. Das führt zu einer nicht zu überhörenden Unstimmigkeit zwischen ihnen. Auf die Liebe, die ihn vor der politisch motivierten schmutzigen Ehe und dem abscheulichen Erbe bewahrt, kann Ferdinand schwer verzichten und er schlägt Luise vor, gemeinsam aus dem Fürstentum fliehen, denn er fürchte sich, dass er angesichts des zu erwartenden heftigen Angriffs seines aufgereizten Vaters das dunkle Geheimnis von dessen Mordtat verraten und ihn so in die Hände des Henkers liefern könnte, was seiner kindlichen Pflicht widerspreche. Luise wendet dagegen ein, wenn sie mit ihm fliehe, sei die Rache des Präsidenten an ihrer Familie furchtbarer. Sie müsse in der Stadt bei ihrem alten Vater bleiben, der nichts anderes besitze als die einzige Tochter. Die kindliche Pietät der beiden bringt sie aufgrund ihrer jeweils ganz anderen Ausgangssituation zu entgegengesetzten Schlussfolgerungen. Luise sagt auch: „Laß mich (—) deinem Vater den entflohenen Sohn wiederschenken! Schenke sie (deine Liebe) einer Edeln und Würdigern!“ Ob aber Ferdinand die Mätresse wirklich heiraten sollte. Luise empfiehlt ihm letztlich das, was er am meisten vermeiden will. Er gerät außer sich, redet wirr: „Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier. (—) Ein Liebhaber fesselt dich“ (3.4) Diese Stelle deutet auf die folgende tragische Entwicklung voraus.
(2) Bisher kaum beachtet sind die satanischen Sätze, die der Präsident in den gefälschten Liebesbrief eingefügt hat: „Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre (Jungfräulichkeit) sich wehrte. (—) Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht, (—) daß ich nicht laut lachte.“ Als ihm der Vater die Heirat mit der Mätresse gedrängt hatte, hatte der Sohn erwidert: „Mit welchem Gesicht soll ich vor den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen Körper zum Mitgift bekommt?“ Der Präsident weiß zu gut, dass sein Sohn auf die Ehre, besonders die Ehre der Frauen, hält. Mit den eingefügten Sätzen, in denen Luise genau darüber spottet, trifft er den Sohn am empfindlichsten Punkt. Aus der Fassung gekommen drängt Ferdinand den Hofmarschall zur Antwort: „Bube! Wenn sie nicht rein mehr ist? Wenn du genossest, wo ich anbetete? (—) Wie weit kamst du mit dem Mädchen? Bekenne!“ Die von dem abgefeimten Politiker erdachten Sätze machen Ferdinand blind und taub.
Im 5. Aufzug schreibt Luise an Ferdinand ein Briefchen, in dem sie ihn zum gemeinsamen Selbstmord auffordert. Warum entschließt sie sich plötzlich dazu, obwohl sie sich doch nicht für Ferdinand, sondern für den Vater entschieden hatte? Als kurz davor im 4. Aufzug Lady Milford von ihr fordert, Ferdinand zu entsagen, entgegnet sie: „Reißen Sie ihn zum Altar – Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird.“ Die mächtige Rivalin reizte sie so, dass ihre Liebe aufs neue aufflammte, und unwillkürlich fährt ihr das Wort „Selbstmörderin“ aus dem Mund. Der Selbstmord – der Tod hebe alle Eide auf. Der Eid, mit dem man den Betrug zu versiegeln gedachte, binde nur „die Lebendigen, im Tode schmelze auch der Sakramente eisernes Band“. Das fromme, einfache Mädchen dachte, sie könne erst dann ihm die Wahrheit anvertrauen. Sie träumt von einem „Brautbett“ im Jenseits. Dass ihr Vater sie nachdrücklich vom Selbstmord abzubringen sucht, versteht sich, aber seine Rede klingt befremdlich: „Du warst mein Alles (—) Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Tränen deines Vaters – stirb!“ „Daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt als Tyrannenwut!“ klagt Luise und zerreißt den Brief. „Miller stürzt ihr freudetrunken an den Hals.“ Er träumt, dass sie zusammen „ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriss“, singend von Tür zu Tür betteln gehen. Das riecht stark nach Inzestwunsch und deckt die Perversität der patriarchalischen Familie auf.
Ferdinand ist selbst die Vereinigung im Inferno lieber als die Zwietracht im irdischen Leben. Er vergiftet sich und sie, um eine „Ewigkeit mit ihr auf ein Rad der Verdammnis geflochten“ zu sein. Als Luise sterbend alles erzählt, kann er wieder an ihre Treue glauben und an dem Liebesaltar, neben Luise, verscheiden. Als aber Ferdinand den Degen herausreißt, um sich an seinem eigenen Vater zu rächen, ermahnt Luise ihn zur Vergebung: „Sterbend vergab mein Erlöser — Heil über dich und ihn!“ Sie stirbt nicht den Liebestod, sondern Jesus Christus nachahmend als eine Heilige. Das Drama hieß mit Recht ursprünglich Louise Millerin.