Das Gedankenwerk Heideggers vermittelt wohl insbesondere wegen seines abstrakten Begriffsgerüstes den Eindruck, dass es mit der Weltlichkeit des Alltags fast nichts zu tun hat. Trotz dieses Anscheins philosophiert er stets über die aktuelle Situation der Moderne: Im Vortrag Bauen Wohnen Denken (1954) spricht er z.B. über die Wohnungsnot, die damals in der deutschen Nachkriegszeit herrschte. Die Frage der Versorgung mit Wohnungen, die eigentlich in den politischen und ökonomischen Bereich gehört, interessiert den Philosophnen hier jedoch wenig. Er thematisiert vielmehr die seelische Heimatlosigkeit, die materiell keineswegs zu beheben ist: Sie stammt von der Beziehungsarmut mit der Umwelt auf übersinnlicher Ebene her. Bei Heidegger wird diese seelische Armut Seinsvergessenheit genannt, was die vom materiellen Interesse bedingte Beziehung zu Dingen, Seiendem, bedeutet. Der Diagnose des Philosophen zufolge wird die Heimatlosigkeit der Moderne von wissenschaftlich hochentwickelter Technik mit sich gebracht. Denn die Technik der Moderne setzt erkenntnistheoretisch Subjektivität, die Umwelt mit Abstand vor sich stellt, voraus. Zur Kritik an der Technik macht Heidegger auf die verschiedensten stellen-Verben wie zustellen, herstellen, bestellen, umstellen, verstellen, ausstellen, herausstellen u.a. aufmerksam. An der Vielfältigkeit dieser Verben sieht er eine Neigung zur Beherrschung der Natur offenbart, indem sie diese von ihrem Wesen herausfordern und vor sich stellen, um diese schließlich nützlich zu machen. Die Beschaffenheit der stellen-Verben läßt sich nach Heidegger als Ge-stell zusammenfassen, was das Wesen der modernen Technik ausmacht. Die Aufgabe des Philosophen besteht nach Heideggers Meinung darin, mit Hilfe von Dichten und Denken in der von Ge-stell bestimmten Gesellschaft eine naturtreue Weltanschauung zurückzuholen. Als Gegensatz zum Ge-stell schildert er eine mythische Sicht der Umwelt namens Geviert, in dem Himmel, Erde, Götter und Sterbliche harmonisch zusammengehören. Die beiden Welten von Ge-stell und Geviert entsprechen jeweils der Seinsvergessenheit und der Unverborgenheit des Seins. Sie bestehen allerdings nicht voneinander getrennt, sondern bilden in ihren gegensätzlichen Verhältnissen zum Sein jeweils eine Kehrseite von der anderen. Im Ge-stell wird nämlich die Wahrheit des Seins vergessen, während im Geviert dem Ruf des Seins zugehört wird. Der Übergang vom Ge-stell zum Geviert ereignet sich darum immer dann, wenn mitten im seinsvergessenen Ge-stell der Ruf des Seins wieder gehört wird. Die beiden stellen substantiell also dasselbe dar. Diesen ungeteilten Zusammenhang der beiden Welten legt auch die Tatsache nahe, daß beide Begriffe in Bremer Vorträge (1949) zum ersten Mal hervortreten. Diese Zweifachheit desselben prägt strukturell die Denkweise Heideggers auch in seiner Sprachphilosophie. Sein berühmter Spruch in Über den Humanismus (1947) lautet: „Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.” Nach dem Philosophen ist das Sein stets unterwegs zur Sprache. Es gelangt schließlich zu den Versen von Hölderlin und Rilke, denen man denkend entgegenkommen muß. In dieser Zusammenarbeit von Dichten und Denken kommt erst das Sein zur Erscheinung. Der Philosoph nennt dieses Verfahren, mit dem die Frage der Heimatlosigkeit beantwortet werden kann, „dichterisch Wohnen”. Das Sein kommt jedoch auch in erlesenen Versen nicht vollkommen zutage. Denn die Wahrheit des Seins verbirgt sich unvermeidlich gerade auch in der Sprache, indem sie sprachlich bestimmt wird. Es läßt sich also an der Dichtung zugleich das Sichverbergen und das Sichoffenbaren der Wahrheit erkennen. Das stimmt genau mit der Erscheinungsform der Wahrheit im Sinne Heideggers überein. Der griechische Wahrheitsbegriff ἀ-λἠθεια ist bei ihm nach dem negativen Präfix ἀ mit Bindestrich getrennt und mit Unverborgenheit im Sichverbergen ins Deutsche zu übersetzen: Die Wahrheit kommt also in der Dichtung nur bedingt zur Erscheinung, genauso wie sich der Himmel in Gestalt der ihn verdeckenden Wolken bekundet. Die technische Weltsicht nimmt hingegen in den Wolken nur diese selbst ohne den Himmel als ihren Hintergrund wahr. Das wird in der Sprache Heideggers als Seinsvergesenheit bezeichnet. In der dichterischen Denkweise kann also das technische Weltbild der Moderne, wenn auch nur augenblicklich, sich naturtreu wenden, was nur von Literatur und Literaturwissenschaft geleistet werden kann.