Worin haben wir die für Philosophieren Schelers charakteristische Konsistenz zu erblicken? Um eine Antwort auf diese Frage handelt es sich in der vorliegenden Abhandlung. Nichts liegt uns ferner als die Meinung, Scheler für einen blossen Anhänger oder aber einen «Antipoden» (Husserl) der Phänomenologie zu halten. In seiner ganzen philosophischen Phase hat Schelers Gedanke einige Tiefen, von den der Husserlsche phänomenologische Gesichtspunkt nicht Besitz ergreifen kann. Dazu gehört vor allem seine Ethos-Lehre. Unsere Arbeit will ein Versuch sein, diese Lehre als die genannte Antwort zu erwähnen.
In seinen Veröffentlichungen fängt der Gebrauch des bedeutend soziologischen Begriffes von Ethos fast zugleich mit der Anwendung der phänomenologischen Methode an. Aber doch soll beachtet werden, dass schon dabei seine Phänomenologie nicht gerade mit der Husserls im Einklang steht. Durch die Ethos-Lehre kann also der Schelersche Standpunkt «für die Kritik unserer Zeit und für die Wegweisungen ins Rechte» (Scheler) seine Begründung erhalten. Seine Idolenlehre und «Ressentiment»-Theorie, die das Phänomen von Täuschungen unsres Ethos behandeln, dürfen als die Anwendungsgebiete dieses Standpunktes angesehen werden.
Das methodische Prinzip solcher Ethos-Lehre nennt Scheler «Perspektivismus». Damit will er die relativistisch und die absolutistisch orientierten ethischen Theorien überwinden und die echte Ethik auf sich selbst stützen. Die noch weitergehende Frage der wissenschaftlichen Möglichkeit dieses Prinzips aber war für Scheler schliesslich eine Frage der Metaphysik. Zur endgültigen Begründung des Perspektivismus bringt er die metaphysische «Hypothese» d. h. «Funktionalisierung der Wesenseinsicht» und sonach die metaphysische Voraussetzung des Ansichseins vor. Seine Ethos-Lehre und seine Welt des Philosophierens, die <zwischen Relativismus und Absolutismus> vermittelst des Perspektivismus sitzen wollen, müssen daher auf eine inhaltliche und wenigstens soziologische Bestimmung Verzicht leisten.