Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bundesrepublik Deutschland unter der Leitung der Alliierten nach dem Muster westlicher demokratischer Ordnungen errichtet. Sie war ein provisorischer Staat, der aus diesem Grund nachträglich seine Legitimität durch gesellschaftliche sowie politische Debatten gewinnen musste. Von den 1960er Jahren bis in die 1970er Jahre standen autoritäre Aspekte des Staats im Vordergrund, da jene politischen Ereignisse wie die Spiegel-Affäre, die Große Koalition (CDU/CSU-SPD), die Notstandsgesetzgebung usw. sukzessiv stattfanden, bei denen es sich um staatliche Unterdrückung des individuellen Rechts der Bürger*innen handelte. Als Reaktion darauf bildete sich die APO (Außerparlamentarische Opposition), die hauptsächlich aus dem SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) bestand.
Es war Jürgen Habermas (*1929), der sich mit der demokratischen Entwicklung der frühen BRD beschäftigte. Er protestierte heftig gegen die Unterdrückung der Demokratie vonseiten des Staates und zugleich kritisierte er die sich radikalisierenden Student*innen, die sowohl demokratische Spielregeln als auch die gegebenen Institutionen umzuwandeln versuchten. Hierbei ist anzumerken, dass Habermas sich mit den konservativen Denkern auseinandersetzte. Vor allem ist Arnold Gehlen (1904-1976) sehr wichtig, da er in der damaligen akademischen und journalistischen Öffentlichkeit großen Einfluss hatte und die Institutionstheorie aufstellte.
Die bisherige Forschung fokussiert auf jene Rezeption von Gehlens Theorie durch Habermas, die zu seinen Werken Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) oder Theorie des kommunikativen Handels (1981) führen sollte. Man kann darüber hinaus auch die Frage stellen, was die Institutionstheorie Gehlens für Habermas’ Bewertung der demokratischen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Die vorliegende Arbeit geht zunächst auf Gehlens Hauptwerke Urmensch und Spätkultur (1957) sowie Moral und Hypermoral (1969) ein und analysiert dann die zwei Besprechungen Habermas’ zu diesen Büchern. Für Habermas war Gehlen ein Prüfstein beim Versuch, die Bedeutung der gesellschaftlichen Institutionen ohne totalisierende Konsequenzen zu retten und die Demokratie im Nachkriegsdeutschland festzumachen.
Dies dürfte auch eine neue Sichtweise auf den Begriff „Verfassungspatriotismus“, den Habermas erst beim sogenannten „Historikerstreit“ von 1986 konzipierte, bringen. Dabei insistierte Habermas gegen die revisionistische Historie auf eine Gestaltung der postkonventionellen Identität, welche sich durch universalistische Wertorientierungen verfeinert. Hier geht es also um eine Spannung zwischen kollektiver Identität und universalen Verfassungsprinzipien. In diesem Punkt ist die Rolle der gesellschaftlichen Institutionen notwendigerweise zu klären, deren Bedeutung Habermas durch seine Auseinandersetzung mit Gehlen herausarbeitete. Die gesellschaftlichen Institutionen können ein Vermittler zwischen sowohl individueller als auch kollektiver Identität und universalistischen Verfassungsprinzipien sein, soweit sie den demokratischen Spielregeln folgen.