Karl Philipp Moritz wird meistens als bloßes Übergangsphänomen von der Weimarer Klassik zur Frühromantik betrachtet. Meine Abhandlung arbeitet dagegen einen Aspekt seiner revolutionären Ästhetik heraus, der ihn als durchaus eigenständigen Autor erweist. Herangezogen wird dazu seine „Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten“ (1791).
Die „Götterlehre“ ist eines seiner populärsten Bücher, weil es die Welt der antiken Mythologie erfolgreich geradezu wissenschaftlich rekonstruiert und aufs Anziehendste erzählerisch darstellt. Dennoch liegt das Wesentliche des Werkes woanders: Moritz interessiert sich vor allem für die Erzeugung der antiken Mythologie – und damit der Dichtung insgesamt – durch die Einbildungskraft (Phantasie). Es geht daher weniger um die bloße Erzählung bzw. wissenschaftliche Rekonstruktion der antiken Mythen als um das Prinzip ihrer Erzeugung, das mit dem dichterischen identisch ist und die Welt der Mythologie als autonom erweist. Die „Götterlehre“ ist in diesem Sinne das systematischste von Moritz’ Werken und wird hier unter diesem Gesichtspunkt thematisiert.
Die Abhandlung gliedert sich in vier Teile. Erstens wird der Zusammenhang der „Götterlehre“ mit Moritz’ Ästhetik besprochen. Ihr Hauptanliegen ist, das mythologische Erzeugungsprinzip der Phantasie zu analysieren und zur Begründung die Mythologie künstlerisch zu beschreiben. Zweitens wird die Wirksamkeit der Phantasie konkret und ausfürlich innerhalb der Grenzen aufgeklärt, die ihr durch den menschlichen Geist gesetzt sind. Drittens wird anhand eines Vergleichs der fundamentale Unterschied zwischen Moritzens und Goethes Konzept der Phantasie verdeutlicht. Daraus erklärt sich auch, warum Moritz nur Goethe mehrfach namentlich anführt. Viertens wird aufgrund des Vorangegangenen die revolutionär zu nennende Künstlerauffassung von Moritz diskutiert. Aus der Auffassung des Künstlers als Rezipienten ergibt sich die Erweiterung des künstlerischen Gegenstands.