Im Film Die Welle (2008) von Dennis Ganzel handelt es sich um die dramatische Geschichte einer Schulklasse, in der ein Schulprojekt zur Politikwissenschaft über den Faschismus stattfindet. Dabei war eigentlich beabsichtigt, dass die Schüler die Vorteile des demokratischen Politiksystems erkennen sollen. Der Lehrer und die Schüler geraten jedoch im Verlauf der Projektwoche trotz ihrer anfänglich geäußerten Abneigung gegen den Faschismus in dessen Bann. Diese Bewegung aus dem Klassenzimmer wird auf Vorschlag der Schüler selber “die Welle” genannt. Sie bestimmen auch die Uniform von weißem Hemd und Jeans und außerdem die Begrüßungsform untereinander. Das hier Erlebte greift gleichsam wie eine große Welle außerhalb des Unterrichts um sich, so dass Unbeteiligte in der Schule von Seiten der Wellen-Schüler belästigt werden. In dieser Zuspitzung der Verhältnisse versammelt der Lehrer als Führer der Welle die Schülerschaft in der Aula, um den Schluss der Bewegung zu proklamieren. Ein Schüler, Tim, rebelliert jedoch mit einer insgeheim eingeschmuggelten Pistole dagegen. Nach einem erfolglosen Versuch der Überredung zur Fortsetzung der Bewegung erschießt er sich mit den Worten: “Die Welle war mein Leben.” Diese Geschichte einer Klassenkatastrophe war deutschen Zuschauern in der Vorlage, Morton Ruhs Novelle The Wave. Classroom is out of control, die in Deutschland als Lektüreempfehlung für die Sekundarstufe vielfach verkauft wird, schon bekannt. Die Novelle basiert bekanntlich auf einer realen Begebenheit im Jahr 1969 an einer High School im kalifornischen Palo Alto. Die Filmkritik neigte deshalb meist dazu, in Ganzels Werk nichts Weiteres als die bloße Verfilmung des Vorläufers zu sehen. In diesem Filmwerk wird jedoch eine aktuelle Frage gestellt, die man damals in Kalifornien wohl nicht kannte: ob der Faschismus bei darüber aufgeklärten Menschen im Wohlstand überhaupt noch eine Chance hätte. Die Schüler in Palo Alto sollten sich gegenüber den Grausamkeiten der Nazis, die sie im Geschichtsunterricht erfuhren, unwissend und schockiert zeigen, während die deutschen Schüler im Film die Holocaust-Problematik schon satt haben, wie einer von ihnen am ersten Tag des Projektes aussagt: “Dazu sind wir viel zu aufgeklärt.” Außerdem sind die Jugendlichen auf der Leinwand meist aus reichem Elternhaus, was mit der ökonomischen Misere in der Weimarer Republik wenig zu tun hat: Im Umfeld der Schule, in dem sich die Vorgänge des Films überwiegend abspielen, führt man nämlich fast ausnahmslos ein Leben im Wohlstand. Um so herausfordernder klingt wohl die Frage des Lehrers Schülern gegenüber vor dem Beginn des Klassenexperiments: “Ihr seid also der Meinung, dass die Diktatur in Deutschland nicht mehr möglich wäre, ja?” Darauf gibt der Filmemacher eine unmissverständliche Antwort mit den Sequenzen, die anschaulich machen, wie leicht sich in der Konsumgesellschaft ein psychisches Vakuum in jugendlichen Seelen bilden kann. Dieses Vakuum der Seelen will sich im Film mit dem Faschismus ausfüllen, was der Lehrer mit seinem Charisma verwirklicht. Ein Vorbild dieser Art von Schülern gibt uns Tim, der in der Klasse lange nur als Versager galt. Mit der Teilnahme an der Welle erlebt er jedoch wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben Lebensorientierung und Machtbewusstsein, was ihn zum fanatischen Anführer der Bewegung macht. Diese Erfahrung wird für Tim zum zentralen Erlebnis, wie sein Testament bestätigt: “Die Welle war mein Leben.” Beim Zusammenbruch der Wellenbewegung in der Aula-Szene gibt es für ihn darum keine Altenative mehr als Selbstmord zu begehen. Der Film deutet an, wie sich der Faschismus auch heute im Wohlstand gut verbreiten könnte.